Dein Baby schreit, weil du es nicht tust

9 Monate habe ich nach dem Grund gesucht.

Es waren neun lange Monate. Die ersten drei waren unerträglich, weitere drei waren nur ganz schwer aushaltbar und dann, dann wurde es endlich besser. Immer wieder habe ich nach dem Grund für das Schreien gesucht. Ich habe dem Krankenaus die Schuld gegeben, der Hebamme, die mich viel zu lange unter der Geburt alleine gelassen hat. Dem Arzt, der mich mit seiner zittrigen Hand aufgeschnitten hat, obwohl ich der Meinung war, er dürfe in diesem Zustand gar nicht operieren. Der Einleitung, weil ich doch so sehr wollte, dass mein Kind ohne Interventionen zur Welt kommt. Dem Stress in meiner Schwangerschaft. Musste es denn wirklich sein, dass man mir kündigt? Dass wir umziehen? Dass ich einfach keine Wochenbetthebamme finde?

Mein Baby schrie. Es schrie vom ersten Tag an, mehr und lauter und länger als alle anderen Babys, die zur gleichen Zeit auf der Station waren. Aber eigentlich war mir nach schreien zumute. Ich war leer, ich war unendlich traurig, ich war innerlich wie abgestorben. Doch ich blieb still. Ich weinte viel. Ich war verwirrt. Was war bloß mit mir geschehen?

Die Geburt, die wenigen Sekunden vor der Entscheidung, mich in den OP zu schieben, haben mich traumatisiert. Ich hatte Todesangst. Früher, damals als es noch keine Möglichkeit gab, einen Kaiserschnitt überhaupt durchzuführen, wäre ich gestorben. Und mein Sohn sehr wahrscheinlich auch. Dieses Wissen, diese Vorahnung darüber, war in diesem Moment so präsent, dass ich erstarrte. Und auch diese Starre ist evolutionsbiologisch begründet, denn wären wir noch in der Steinzeit, dann wäre alles was zählt, das Überleben zu sichern! Von meinem Sohn und von mir. Schlau also, was unser Körper und unser Geist da so leisten. Aber nun sind wir eben nicht mehr in der Steinzeit. Wie leben im 21. Jahrhundert! Ich lief also viel zu lange mit dieser leere, mit dieser Unwissenheit in mir herum, und dachte mit mir stimmt etwas nicht. Mein Sohn, dem ICH hätte ein Anker, ein Leuchtturm sein sollen, in diesen ersten Stunden und Monaten auf der Erde, war verängstig, verwirrt, verärgert. Und das brachte er zum Ausdruck! Sehr lange und sehr laut!

Ich schreibe diese Zeilen nicht, weil ich mir die Schuld an alldem gebe. Nein. Ich möchte auch dir nicht damit sagen, dass du Schuld bist, am Schreien deines Kindes! Es geht hier nicht um irgendwelche Schuldzuweisungen! Es geht nur um die Erkenntnis, dass unsere Babys schreien, weil sie spüren, dass mit uns, ihrem Leuchtturm, ihrer verbundenen Mama, etwas nicht stimmt. Das mag nicht auf ALLE Schreibabys gleichermaßen zutreffen, aber es war bei mir und bei vielen Frauen, mit denen ich mich in den vergangenen Monaten unterhalten habe, der Hauptgrund. Das tut gleich doppelt weh, ich weiß! Aber du bist nicht alleine! Es ist unfassbar wichtig, dass du dir in dieser Zeit Hilfe suchst, um das Geschehene aufzuarbeiten, um ich mental wieder zu stabilisieren und um deinen Kind die Mama zu sein, die es so sehr braucht. Zudem möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es wichtig ist, unbedingt auch mögliche körperliche Ursachen medizinisch abklären zu lassen! Viele Baby haben Blockaden nach der Geburt, aber auch viel zu spät erkannte Knochenbrüche wurde mir bereits berichtet.

Fühl dich umarmt.

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